Randerscheinungen

[…] Die Vielzahl der Vorstellungen, die von Europa im Umlauf sind, drückt sich aus in einer Heterogenität der Motive. Die Aufnahmen von Doris Frohnapfel werden nur zusammengehalten durch die sachlichen Vermerke, die ihnen einen Platz zuweisen bei der Befestigung eines europäischen Raumes. Manche Bilder sehen aus wie arglose Landschaftsaufnahmen, etwa in Finnland, wo der See Inari die Trennung zu Russland ausfüllt: ein winterliches Panorama mit kargen Bäumen und Schnee. Andere Bilder wirken wie Monumente einer Vergangenheit, die der Zeit überlassen sind, weil sie für die Aktualität an Interesse verloren haben. Eingefallene Grenzzäune, verwitterte Schilder, verrostete Lampen stehen im einstigen Niemandsland vor dem bulgarischen Sozopol. Früher begann hinter dem Wasser der türkische Westen, heute wartet dort lediglich ein weiterer EU-Beitrittskandidat-Kandidat auf seine Aufnahme.

Spannend, im Sinne einer Geschichte, wird Doris Frohnapfels Serie an den prekären Orten der Gegenwart. Nichts kündet deutlicher von der Macht Europas als die Asepsis von neu errichteten Grenzanlagen. Brisant ist Europa überall da, wo der Reichtum von solidem Funktionalismus vor der dahinter zu erwartenden Armut schützt: an der Grenze zum Kaliningrader Gebiet, an der Grenze zu Afrika, an den menschenleeren Zaunlandschaften, die der Eurostar bei Calais und Dover durchläuft wie ein Raubtier, das in die Zirkusmanege geführt wird. Der distanzierte Blick von Doris Frohnapfel auf diese Befestigungen erfährt seine Zuspitzung in den beigefügten Bildern von Überwachungskameras. Wenn auch auf diesen Serien zumeist nichts zu sehen ist, unterlegt die Allgegenwart und Automatisierung des Kameraauges den Grenzbereich mit dem Mulm des Verdachts. Grenzübertritte sind in diesem Fokus keine Kinderspiele, sondern Verbrechen.